Re:publica: Kick it like Seibert

Der Regierungssprecher Steffen Seibert twittert. Das hat bei der eingefahrenen Hauptstadtpresse für Verwirrung gesorgt. Sollten sie künftig nicht mehr als Erste erfahren, wann was wo die Kanzlerin tut? „Ich müsste mich eher dafür rechtfertigen, es nicht zu tun“, sagte Seibert auf der größten deutschen Internetkonferenz re:publica in Berlin, die am 4. Mai zu Ende ging. Merkels Sprecher hat seinen Job verstanden: „Ich will über die Arbeit der Bundesregierung informieren – und das über alle verfügbaren Kanäle.“ Seiberts Beispiel sollten Öffentlichkeitsarbeiter und dienstliche Kommunikatoren folgen.

Wer Stefan Seibert zuhört, merkt, dass ihm Twittern Freude bereitet. Der 51-Jährige sagte es auf der re:publica auch selbst: „Ich habe unterschätzt, wie viel Freude es mir bereitet, sich mit den Leuten im Netz auseinander zu setzen. Und ich habe überschätzt, wie viel Zeit es kostet.“ Schließlich könne der Regierungssprecher seine maximal 140 Zeichen langen Nachrichten schnell von unterwegs via iPad absetzen.

Das tut @RegSprecher zwei bis sieben Mal am Tag. Er erreicht damit rund 58.000 Follower, die wiederum fleißig seine Tweets weiterverbreiten. In den Kurznachrichten gehe es „von der Rentenpolitik bis hin zum Piratenabwehr am Horn von Afrika“, so der ehemalige ZDF-Nachrichtensprecher.

Twitter als Rückkopplungskanal

Seiberts Social-Media-Tätigkeit ist nicht einseitig. Bürger stellen ihn über seinen Account @RegSprecher Fragen zur aktuellen Bundespolitik. Aber auch Kommentare sind dabei. Der eine oder andere vergreife sich auch im Ton, so Seibert. „Aber ich scrolle dann immer schnell weiter.“

Als konkreten Beispiel einer gelungenen Rückkopplung nannte Seibert die Anregung von Julia Probst (@EinAugenschmaus). Die Gehörlose regte via Twitter Untertitel bei den regelmäßigen Videobotschaften der Kanzlerin an. Das habe das Bundespresseamt bereits umgesetzt, so Seibert. Zwar habe man dies eh vor gehabt, doch die Hartnäckigkeit von Julia Probst bewegte Seiberts Team zum schnelleren Handeln.

In Seiberts Liste befinden sich nur 19 Twitterer. Seine Kollegen im Weißen Haus, an der Downingstreet No. 10 oder im Kreml seien dabei. „Auch der Vatikan ist dabei“, wie der Katholik Seibert betonte.

Der Heilige Stuhl twittert sogar noch länger als die Bundesregierung. Das brachte Siebert auf der Berliner Podium zu der nicht ganz ernst gemeinten Aussage: „Man sollte in Sachen Modernität nicht weiter hinter dem Vatikan zurückliegen.“

Warum Twitter und nicht Facebook? Da räumt der Regierungssprecher ein, dass ihm die Datenschutzprobleme der größten Social-Media-Plattform Sorgen bereite. „Wenn die ausgeräumt sind, machen wir da gerne mit“, sagte er in Berlin. Die Kanzlerin nutze bereits einen Facebook-Seite, die aber von der CDU-Parteizentrale gesteuert werde.

Bürgerbeteiligung 2.0 auf Bundesebene

Nicht nur über Social-Media-Kanäle will das Kanzleramt den Online-Bürger zur Mitgestaltung animieren. Auch über den so genannten „Zukunftsdialog“ erhoffte sich die Regierung Impulse aus der „Netzgemeinde“ (O-Ton Seibert). 40.000 Vorschläge kamen zusammen – darunter aber viele mit problematischer Zielsetzung. Per Voting konnten die Internetnutzer über die Gewichtung abstimmen. Die Top 10 der Vorschlagsautoren werden ins Kanzleramt eingeladen.

Beim „Zukunftsdialog“ zeigte sich aber: Ob die Freigabe von Canabis oder die Bestrafung von Sodomie – wenn aus Randgruppen via Internet Meinungsführer werden, kann das schnell zu einer peinlichen Auseinandersetzung führen. Doch Seibert verspricht, dass auch die Autoren kurioser Ideen mit der Kanzlerin sprechen dürfen. Allerdings werden neben den Abstimmungssiegern auch zehn weitere Autoren von Vorschlägern eingeladen, die eine Expertenkommission auswählen werden, kündigte Seibert an. Kleine Anmerkung am Rande: Auch die US-Regierung sah sich bei einem vergleichbaren Projekt mit der Legalisierung von Cannabis konfrontiert.

Steffen Seibert sagte der versammelten Internet-Meinungsführerschaft in Berlin aber auch: „Das Netz ist nicht die Republik. Die Legitimation kommt nicht alleine durch das Internet“, erklärte der überzeugte Freund einer repräsentativen Demokratie.

Informationsfreiheitsgesetz: Schönen Gruß an die Kanzlerin

Am Ende des einstündigen Gesprächs mit Geraldine de Bastion auf der re:publica merkte ein Zuschauer an, die Bundesregierung solle endlich im Sinne des Informationsfreiheitsgesetzes (IFG) den Zugang zu Informationen und die Transparenz erhöhen. „Wenn die Bundesregierung die Beschlüsse vorlebt, schwindet bei Kommunen die Verunsicherung“, sagte der Zuschauer. Seibert gab ihm recht: Statt der sonst bevorzugten „Bottom-up“-Bewegung, also der Ideenentwicklung von unteren Hierarchien nach oben, müsse hier eine „Top-Down“-Bewegung stattfinden. Seibert wolle dies der Kanzlerin ausrichten.

Ein guter Schluss eines höchst interessanten Interviews auf der re:publica. Hier gibt es das Interview in voller Länge:

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3 comments

  • Oliver Berger 7. Mai 2012   Reply →

    Fasst das Interview gut zusammen, vielen Dank.

    Kleine Anmerkung dennoch: es heißt „bottom up“, nicht „buttorn up“ … da war wohl irgendwie der Gedanke an einen Button o.ä. Vater/Mutter des Gedanken?

    VG

    • Christian Tombrägel 7. Mai 2012   Reply →

      Natürlich heißt es „Bottom up“. Danke für den Hinweis.

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